Wolfgang Merkel
Silikon-Implantate: Meldeverfahren für Schadensersatz
Experten streiten nach wie vor über Silikon-Risiken / Implantat-Marktführer wegen Prozeßwelle bankrott / Meldeverfahren für Schadensersatzansprüche bis 14. Februar / Experten raten: Teilnehmen, auch ohne silikonbedingte Beschwerden
Pamela Anderson, TV-Serienidol und Baywatch-Bademeisterin
hat sie. Auch Jane Fonda, Hollywood-Heldin und Aerobic-Vorturnerin
steht dazu. Und Lolo Ferrari, ihres Zeichens Pornostar,
sowieso. Die Rede ist von Brustimplantaten aus Silikon.
Für Schauspielerinnen und Models mag die richtige
Oberweite vielleicht eine Frage des beruflichen Erfolgs
sein. Für viele andere Frauen ist es einfach eine
Frage des positiven Körpergefühls.
Begonnen hatte das Silikon-Zeitalter in den 40er Jahren.
Japanische Prostituierte wollten sich den Vorlieben
der amerikanischen Besatzer anpassen und ließen
sich dickflüssiges Silikongel in die Brüste
injizieren. Ab 1967 wurde das Gel dann in einer festen
Silikonhülle in die Brust eingesetzt. Den größten
Boom erlebten die weichen Kissen in den Vereinigten
Staaten - nicht nur bei der Hollywood-Prominenz, und
nicht nur bei Frauen. In geringerem Maße setzen
Schönheitschirurgen die Silikonprothesen - geschlechtsunabhängig
- auch im Gesicht ein, in den Waden, im Penis und als
Hodenersatz nach einer Hodenkrebs-Operation.
In Deutschland vor allem medizinisch notwendige Prothesen
In Deutschland stehen statt der kosmetischen eher die medizinischen Aspekte im Vordergrund. Vagen Schätzungen zufolge waren es bislang etwa 40.000 Brustprothesen, die zu kosmetischen Zwecken implantiert wurden, aber rund 200.000 Brustprothesen mit medizinischer Indikation. Das heißt in erster Linie Wiederaufbau der weiblichen Brust nach einer verstümmelnden Brustkrebs-Operation. Hinzu kommen ungezählte Prothesen, die zumindest teilweise aus Silikon bestehen: Herzklappen, künstliche Kiefer-, Knie- und Hüftgelenke.
Umstrittene Hinweise auf Nebenwirkungen
Am Ende der 80er Jahre häuften sich jedoch die
Indizien für Nebenwirkungen: Schmerzzustände,
rheumaartige Bindegewebserkrankungen, Allergien und
Sklerodermie, eine Verhärtung der Haut und der
inneren Organe. Silikon, das aus den eingesetzten Kissen
austritt und sich im Körper verteilt, wird dafür
verantwortlich gemacht. Gemeinsam ist den meisten dieser
Erkrankungen, daß sich das Abwehrsystem des Körpers
unter dem Silikon-Einfluß gegen eigenes Gewebe
richtet. Die Mediziner sprechen von Autoimmun-Erkrankungen.
Am häufigsten klagen Implantatträgerinnen
jedoch über die sogenannte Kapselfibrose, eine
schmerzhafte Vernarbung des Brustgewebes rund um die
Prothese. Dann muß unter Umständen nochmals
operiert werden, um die Vernarbung aufzubrechen. Bisweilen
müssen die Silikonkissen auch ganz heraus.
Doch all diese Schuldzuweisungen sind umstritten. Mediziner
aus zwei Lagern stehen sich seit langem unversöhnlich
gegenüber. Es gibt auf der einen Seite diejenigen
Mediziner, die diese Implantationen vornehmen; die
sind natürlich davon überzeugt, daß
sie etwas Gutes tun. Es gibt auf der anderen Seite
warnende Stimmen, die sagen: So einfach ist die Sache
nicht, meint Dr. Emil Tschöpe, der sich am Berliner
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
mit der Implantat-Problematik befaßt. Es gibt
sehr ernstzunehmende Studien. Und dabei hat sich herausgestellt,
daß die rheumaartigen Bindegewebserkrankungen
in einem höheren Prozentsatz auftreten als bei
Nicht-Implantatträgerinnen.
Auf der anderen Seite stehen die Ärzte für
ästhetisch-plastische Chirurgie. Sie berufen sich
ebenfalls auf wissenschaftliche Studien. Und die besagen,
daß die Gefahr für die Implantat-Trägerinnen
zu vernachlässigen sind. Eine zentrale Erfassungsstelle
habe ebenfalls belegt, daß keine der Komplikationen
auftreten. Die Chirurgen beschuldigen die Silikon-Gegner
der Panikmache. Und auch Emil Tschöpe gesteht
ein, daß die Silikon-Diskussion möglicherweise
mehr Schaden durch die angefachten Ängste anrichtet
als das Silikon selbst. Außerdem verweisen die
Schönheits-Chirurgen darauf, daß moderne
Implantate ohnehin weniger Gefahren in sich bergen.
Heute ist das flüssige Gel von einer reißfesteren
Silikon-Hülle umgeben als früher. Sie ist
rauh und wächst besser ein. Die Füllung besteht
heute in vielen Fällen nicht mehr aus Silikon-,
sondern aus Sojaöl. Gelangt das Pflanzenöl
trotz der festeren Hülle ins umliegende Gewebe,
so wird es ohne Probleme vom Organismus abgebaut. Hüllen
aus Polyurethan sind ebenfalls auf dem Markt. Doch
damit wird unter Umständen der Teufel mit dem
Beelzebub ausgetreieben. Denn Polyurethan steht im
Verdacht, Krebs zu erregen.
Expertenstreit trotz neuer Implantat-Typen nicht beigelegt
Trotz der neuen Implantat-Typen ist der Streit der Fachleute
nicht beendet. Besonders eklatant ist die unterschiedliche
Bewertung bei der Vernarbung des Brustgewebes um das
Silikonkissen. Einige Studien sprechen von einer Häufigkeit
von drei Prozent, andere von siebzig Prozent. Meine
Schätzung liegt bei etwa fünfzig Prozent,
resümiert Emil Tschöpe. Das würde bedeuten:
Jede zweite Implantatträgerin leidet irgendwann
unter dieser schmerzhaften Komplikation.
Bei den Gesundheitsbehörden hört man eher
auf die kritischen Stimmen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde
FDA (Food and Drug Administration) verbot aufgrund
der Indizien Silikon-Prothesen für Schönheitsoperationen.
Das Risiko sei bei optisch-ästhetischen Implantationen,
so die FDA, höher zu bewerten als der Nutzen.
Bei den medizinischen Indikationen, also beim Brustaufbau
nach Krebs, bei Gelenken und Herzklappen, sei es dagegen
umgekehrt. Das damalige deutsche Bundesgesundheitsamt
folgte dieser Argumantation. Da ihm jedoch die rechtliche
Handhabe für ein Verbot fehlte, sprach es im Jahr
1994 eine Warnung aus.
Eine Wende schien im vergangenen Jahr eine Gutachterin
der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA einzuleiten.
Sie gab bekannt: Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen
werde erwogen, das Verbot aufzuheben. Doch die Nachricht
platzte. Das FDA stellte klar: Die Gutachterin habe
keinerlei Befugnis zu dieser Stellungnahme gehabt.
Das Verbot bleibe bestehen. Auch Emil Tschöpe
kann für sein Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte sagen: Wir sehen keinen Grund zur
Entwarnung.
Silikonimplantat-Träger können Ansprüche anmelden
Dem Verbot in den USA folgte eine Flut von Schadensersatz-Prozessen gegen die Firma Dow Corning. Der Marktführer in Amerika und Europa ist heute bankrott. Das zuständige Konkursgericht im US-Bundesstaat Michigan verpflichtete die Firma, die Höhe der möglichen Regreßansprüche festzustellen. Dow Corning startete deshalb wohl oder übel eine Anzeigen-Kampagne und forderte Implantatträger auf, ihre Ansprüche anzumelden. Die Anzeigen wurden auch in deutschen Zeitschriften geschaltet. Dies ist jedoch keineswegs ein Schuldeingeständnis der Firma, sondern nur ein vorgeschaltetes Meldeverfahren. Wer wegen silikonbedingter Krankheiten Regreß verlangt, muß dies in einem separaten Gerichtsverfahren erstreiten. Jedenfalls können nun auch deutsche Implantatträger an dem Meldeverfahren teilnehmen. Berechtigt sind alle Personen mit Silikon-Implantaten der Firma Dow Corning Corporation und deren Tochterfirma Dow Corning Wright Corporation, gleichgültig, ob es sich um Brust-, Gesichts-, Penis- oder Kiefer-, Knie- und Hüftgelenks-Implantate handelt oder um Herzklappen und andere silikonhaltige Prothesen. Am 14. Februar läuft die Meldefrist ab. Wichtig: Auch wer nicht unter Silikon-Beschwerden leidet, kann sich anmelden: Für den Fall, daß es später zu Komplikationen kommen sollte. Bezahlt werden die später vor Gericht erstrittenen Summen aus einem Fonds, den Dow Corning gemeinsam mit anderen Implantat-Herstellern eingerichtet hat. 4,3 Milliarden Dollar befinden sich in dem Topf. Ob Deutsche da tatsächlich auch reingreifen können, ist unklar. Denn unsicher ist, ob amerikanische Gerichte Ansprüche aus dem Ausland gelten lassen. Doch wer nichts versäumen will, der fordert jetzt die notwendigen Formulare in den USA an. In diesem Punkt sind sich Silikon-Befürworter und -Kritiker auch einig: Die Anmeldefrist sollte man wahren, auch wenn man keine Beschwerden hat. Wer weiß, was in zehn Jahren ist.
Wie man das Meldeformular bekommt
Das Meldeformular kann man bei folgender Stelle anfordern:
Foreign Claims Information Center
P.O. Box 7500
Midland, MI (für
Michigan)
48641-7500, USA
Tel. (in englischer Sprache):
001 (für USA) 402-445-9273
Anrufen kann man täglich von 13 Uhr nachmittags
bis 5 Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit, also
von 7 bis 23 Uhr Ortszeit Michigan.
Wichtig: Die ausgefüllten Formulare müssen
bis spätestens 14. Februar beim Gericht in den
USA eingehen. Es gilt der Posteingang! Die Anschrift
ist auf dem Vordruck verzeichnet. Fotokopien des offiziellen
Formulars werden nicht akzeptiert.
wom