Text-Nummer: 0171

Schaltung am: 04.02.97
Rubrik(en): Forschung und Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur
Umfang des Textes in Zeichen: 8953
Verfasser(in): Wolfgang Merkel
Originaltitel: Silikon-Implantate: Meldeverfahren für Schadensersatzansprüche
Kürzel: wom
Copyright: Wolfgang Merkel

Wolfgang Merkel
Silikon-Implantate: Meldeverfahren für Schadensersatz

Experten streiten nach wie vor über Silikon-Risiken / Implantat-Marktführer wegen Prozeßwelle bankrott / Meldeverfahren für Schadensersatzansprüche bis 14. Februar / Experten raten: Teilnehmen, auch ohne silikonbedingte Beschwerden

Pamela Anderson, TV-Serienidol und Baywatch-Bademeisterin hat sie. Auch Jane Fonda, Hollywood-Heldin und Aerobic-Vorturnerin steht dazu. Und Lolo Ferrari, ihres Zeichens Pornostar, sowieso. Die Rede ist von Brustimplantaten aus Silikon. Für Schauspielerinnen und Models mag die richtige Oberweite vielleicht eine Frage des beruflichen Erfolgs sein. Für viele andere Frauen ist es einfach eine Frage des positiven Körpergefühls.
Begonnen hatte das Silikon-Zeitalter in den 40er Jahren. Japanische Prostituierte wollten sich den Vorlieben der amerikanischen Besatzer anpassen und ließen sich dickflüssiges Silikongel in die Brüste injizieren. Ab 1967 wurde das Gel dann in einer festen Silikonhülle in die Brust eingesetzt. Den größten Boom erlebten die weichen Kissen in den Vereinigten Staaten - nicht nur bei der Hollywood-Prominenz, und nicht nur bei Frauen. In geringerem Maße setzen Schönheitschirurgen die Silikonprothesen - geschlechtsunabhängig - auch im Gesicht ein, in den Waden, im Penis und als Hodenersatz nach einer Hodenkrebs-Operation.

In Deutschland vor allem medizinisch notwendige Prothesen

In Deutschland stehen statt der kosmetischen eher die medizinischen Aspekte im Vordergrund. Vagen Schätzungen zufolge waren es bislang etwa 40.000 Brustprothesen, die zu kosmetischen Zwecken implantiert wurden, aber rund 200.000 Brustprothesen mit medizinischer Indikation. Das heißt in erster Linie Wiederaufbau der weiblichen Brust nach einer verstümmelnden Brustkrebs-Operation. Hinzu kommen ungezählte Prothesen, die zumindest teilweise aus Silikon bestehen: Herzklappen, künstliche Kiefer-, Knie- und Hüftgelenke.

Umstrittene Hinweise auf Nebenwirkungen

Am Ende der 80er Jahre häuften sich jedoch die Indizien für Nebenwirkungen: Schmerzzustände, rheumaartige Bindegewebserkrankungen, Allergien und Sklerodermie, eine Verhärtung der Haut und der inneren Organe. Silikon, das aus den eingesetzten Kissen austritt und sich im Körper verteilt, wird dafür verantwortlich gemacht. Gemeinsam ist den meisten dieser Erkrankungen, daß sich das Abwehrsystem des Körpers unter dem Silikon-Einfluß gegen eigenes Gewebe richtet. Die Mediziner sprechen von Autoimmun-Erkrankungen. Am häufigsten klagen Implantatträgerinnen jedoch über die sogenannte Kapselfibrose, eine schmerzhafte Vernarbung des Brustgewebes rund um die Prothese. Dann muß unter Umständen nochmals operiert werden, um die Vernarbung aufzubrechen. Bisweilen müssen die Silikonkissen auch ganz heraus.
Doch all diese Schuldzuweisungen sind umstritten. Mediziner aus zwei Lagern stehen sich seit langem unversöhnlich gegenüber. Es gibt auf der einen Seite diejenigen Mediziner, die diese Implantationen vornehmen; die sind natürlich davon überzeugt, daß sie etwas Gutes tun. Es gibt auf der anderen Seite warnende Stimmen, die sagen: So einfach ist die Sache nicht, meint Dr. Emil Tschöpe, der sich am Berliner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit der Implantat-Problematik befaßt. Es gibt sehr ernstzunehmende Studien. Und dabei hat sich herausgestellt, daß die rheumaartigen Bindegewebserkrankungen in einem höheren Prozentsatz auftreten als bei Nicht-Implantatträgerinnen.
Auf der anderen Seite stehen die Ärzte für ästhetisch-plastische Chirurgie. Sie berufen sich ebenfalls auf wissenschaftliche Studien. Und die besagen, daß die Gefahr für die Implantat-Trägerinnen zu vernachlässigen sind. Eine zentrale Erfassungsstelle habe ebenfalls belegt, daß keine der Komplikationen auftreten. Die Chirurgen beschuldigen die Silikon-Gegner der Panikmache. Und auch Emil Tschöpe gesteht ein, daß die Silikon-Diskussion möglicherweise mehr Schaden durch die angefachten Ängste anrichtet als das Silikon selbst. Außerdem verweisen die Schönheits-Chirurgen darauf, daß moderne Implantate ohnehin weniger Gefahren in sich bergen. Heute ist das flüssige Gel von einer reißfesteren Silikon-Hülle umgeben als früher. Sie ist rauh und wächst besser ein. Die Füllung besteht heute in vielen Fällen nicht mehr aus Silikon-, sondern aus Sojaöl. Gelangt das Pflanzenöl trotz der festeren Hülle ins umliegende Gewebe, so wird es ohne Probleme vom Organismus abgebaut. Hüllen aus Polyurethan sind ebenfalls auf dem Markt. Doch damit wird unter Umständen der Teufel mit dem Beelzebub ausgetreieben. Denn Polyurethan steht im Verdacht, Krebs zu erregen.

Expertenstreit trotz neuer Implantat-Typen nicht beigelegt

Trotz der neuen Implantat-Typen ist der Streit der Fachleute nicht beendet. Besonders eklatant ist die unterschiedliche Bewertung bei der Vernarbung des Brustgewebes um das Silikonkissen. Einige Studien sprechen von einer Häufigkeit von drei Prozent, andere von siebzig Prozent. Meine Schätzung liegt bei etwa fünfzig Prozent, resümiert Emil Tschöpe. Das würde bedeuten: Jede zweite Implantatträgerin leidet irgendwann unter dieser schmerzhaften Komplikation.
Bei den Gesundheitsbehörden hört man eher auf die kritischen Stimmen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) verbot aufgrund der Indizien Silikon-Prothesen für Schönheitsoperationen. Das Risiko sei bei optisch-ästhetischen Implantationen, so die FDA, höher zu bewerten als der Nutzen. Bei den medizinischen Indikationen, also beim Brustaufbau nach Krebs, bei Gelenken und Herzklappen, sei es dagegen umgekehrt. Das damalige deutsche Bundesgesundheitsamt folgte dieser Argumantation. Da ihm jedoch die rechtliche Handhabe für ein Verbot fehlte, sprach es im Jahr 1994 eine Warnung aus.
Eine Wende schien im vergangenen Jahr eine Gutachterin der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA einzuleiten. Sie gab bekannt: Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen werde erwogen, das Verbot aufzuheben. Doch die Nachricht platzte. Das FDA stellte klar: Die Gutachterin habe keinerlei Befugnis zu dieser Stellungnahme gehabt. Das Verbot bleibe bestehen. Auch Emil Tschöpe kann für sein Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sagen: Wir sehen keinen Grund zur Entwarnung.

Silikonimplantat-Träger können Ansprüche anmelden

Dem Verbot in den USA folgte eine Flut von Schadensersatz-Prozessen gegen die Firma Dow Corning. Der Marktführer in Amerika und Europa ist heute bankrott. Das zuständige Konkursgericht im US-Bundesstaat Michigan verpflichtete die Firma, die Höhe der möglichen Regreßansprüche festzustellen. Dow Corning startete deshalb wohl oder übel eine Anzeigen-Kampagne und forderte Implantatträger auf, ihre Ansprüche anzumelden. Die Anzeigen wurden auch in deutschen Zeitschriften geschaltet. Dies ist jedoch keineswegs ein Schuldeingeständnis der Firma, sondern nur ein vorgeschaltetes Meldeverfahren. Wer wegen silikonbedingter Krankheiten Regreß verlangt, muß dies in einem separaten Gerichtsverfahren erstreiten. Jedenfalls können nun auch deutsche Implantatträger an dem Meldeverfahren teilnehmen. Berechtigt sind alle Personen mit Silikon-Implantaten der Firma Dow Corning Corporation und deren Tochterfirma Dow Corning Wright Corporation, gleichgültig, ob es sich um Brust-, Gesichts-, Penis- oder Kiefer-, Knie- und Hüftgelenks-Implantate handelt oder um Herzklappen und andere silikonhaltige Prothesen. Am 14. Februar läuft die Meldefrist ab. Wichtig: Auch wer nicht unter Silikon-Beschwerden leidet, kann sich anmelden: Für den Fall, daß es später zu Komplikationen kommen sollte. Bezahlt werden die später vor Gericht erstrittenen Summen aus einem Fonds, den Dow Corning gemeinsam mit anderen Implantat-Herstellern eingerichtet hat. 4,3 Milliarden Dollar befinden sich in dem Topf. Ob Deutsche da tatsächlich auch reingreifen können, ist unklar. Denn unsicher ist, ob amerikanische Gerichte Ansprüche aus dem Ausland gelten lassen. Doch wer nichts versäumen will, der fordert jetzt die notwendigen Formulare in den USA an. In diesem Punkt sind sich Silikon-Befürworter und -Kritiker auch einig: Die Anmeldefrist sollte man wahren, auch wenn man keine Beschwerden hat. Wer weiß, was in zehn Jahren ist.

Wie man das Meldeformular bekommt

Das Meldeformular kann man bei folgender Stelle anfordern:

Foreign Claims Information Center
P.O. Box 7500
Midland, MI (für Michigan)
48641-7500, USA
Tel. (in englischer Sprache):
001 (für USA) 402-445-9273

Anrufen kann man täglich von 13 Uhr nachmittags bis 5 Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit, also von 7 bis 23 Uhr Ortszeit Michigan.
Wichtig
: Die ausgefüllten Formulare müssen bis spätestens 14. Februar beim Gericht in den USA eingehen. Es gilt der Posteingang! Die Anschrift ist auf dem Vordruck verzeichnet. Fotokopien des offiziellen Formulars werden nicht akzeptiert. wom


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